Studium der Umfragen

Fallbeil trifft Union und SPD

Heute schon die Umfragen studiert? Warum nicht? Die Wissenschaft macht es doch auch

Der Großteil der Wählerinnen und Wähler lässt sich laut einer Stuttgarter Studie nicht von Umfrageergebnissen beeinflussen. Allerdings seien Umfragen für taktische Wählerinnen und Wähler wichtig, wie die Universität Hohenheim mitteilte. Nach der Annahme des sogenannten Fallbeileffekts etwa wählt ein Wähler eine von ihm präferierte Partei nur dann, wenn diese auch Chancen hat, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen und in den Bundestag einzuziehen. In diesem Jahr dürfte die Gruppe der taktischen Wählerinnen und Wähler größer sein als sonst, teilte Kommunikationswissenschaftler Professor Frank Brettschneider mit.

Zwischen 1980 und 2017 habe sich die Berichterstattung über Wahlumfragen verzehnfacht, betonte Brettschneider. "Und in diesem Jahr ist ein neuer Rekord zu erwarten." Zum einen würden mehr Umfragen durchgeführt. Zum anderen seien die Umfragen in diesem Jahr besonders interessant, weil sich die Stimmungen in der Bevölkerung stärker ändern als bei früheren Bundestagswahlen. "Der Wahlausgang ist nach wie vor vollkommen offen. Das steigert das Interesse an Umfrageergebnissen", so Brettschneider.

Besonders bemerkenswert an dieser Pressemitteilung auf den Seiten "Forschung und Lehre-Was die Wissenschaft bewegt" finde ich den Begriff "Fallbeileffekt" für die Fünf-Prozent-Hürde. Um Tötung ganz kleiner Parteien auf Verlangen scheint es sich dabei aber nicht zu handeln. Dass sie in diesem Jahr bei den Polit-Zwergen häufiger vorkommen wird als sonst, darf außerdem bestritten werden. Denn dieses so genannte "Fallbeil" trifft die SPD und die Union viel häufiger als alle anderen Parteien. Und das liegt nicht an der Fünf-Prozent-Hürde. Sie werden von dem Fallbeil getroffen, weil sie nicht mehr groß sind. 

Die Demoskopen mögen am 26. September wieder einmal weit daneben liegen, eins ist sicher: Volksparteien gibt es nicht mehr. Deshalb freuen sich SPD und Union schon, wenn sie mit 25 Prozent der abgegebenen Stimmen rechnen dürfen, wobei man unter Berücksichtigung der Wahlbeteiligung feststellen muss, dass der Rückhalt in der Bevölkerung noch viel geringer ist Doch am Wahlabend wird es wieder heißen: "Die Wählerinnen und Wähler haben uns einen Regierungsauftrag gegeben." Was für die Union genauso wenig zutreffen wird wie für die SPD.

Wenn Professor Brettschneider bei seinen Betrachtungen auch noch von Mitleid spricht, dann scheint das Mitleid mit den Grünen am geringsten zu sein. Die rauschen derzeit in den Umfrage-Keller, als hätten sie etwas Schlimmes angestellt. Dabei sind sie die Partei, die schon vom Klima- und Umweltschutz gesprochen hat als die Union noch jeden verspottete, der über die Zukunft unseres Planeten auch nur einen Augenblick nachdachte, während die SPD sich auf die Rolle beschränkte, die ihr in einem kapitalistischen System zugedacht ist: Den sozialen Frieden sichern, ohne allzu sozial zu sein. 

Wer sich also zu den taktischen Wählerinnen und Wählern gesellen will, müsste die Grünen wählen und stark genug machen, um Union oder SPD als Koalitionspartner auf grünen Trab zu bringen.

Eingeblendet habe ich hier das Wahlergebnis aus 1972. Da gab es den "Fallbeil-Effekt" für die ganz Kleinen. Nicht nur bei den Wahlen, sondern auch schon vor der Kandidatur, die viele deshalb gar nicht erst in Betracht zogen.  


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