Lob für "Bild"

Kurt-Georg Kiesinger: ein NSDAP-
Mitglied wird Bundeskanzler.
Das Schweigen nach dem Hitlerfaschismus

Die "Bild"-Zeitung lobe ich eigentlich nicht. Heute mache ich das.

"´Erstmals seit 1945´ ist nichts, was die AfD tut-das historische Ausmaß der Kritik an ihr ist fehl am Platz", schreibt Filipp Piatov auf Seite 4. Der Autor ist 27 Jahre alt, stammt aus Russland, lebt in Berlin und ist Jude.

In seinem Beitrag nennt er Beispiele für den schändlichen Umgang mit der Nazi-Vergangenheit: Konrad Adenauer setzt als Bundeskanzler mit Hans Globke einen Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze als Berater ein, das ehemalige NSDAP-Mitglied Kurt-Georg Kiesinger wird CDU-Chef und Bundeskanzler, der jüdische Staatsanwalt Fritz Bauer muss sich mit Kollegen herumschlagen, die Nazi-Verbrecher schützen, Erich Mende (FDP, ehemals Vizekanzler) bestreitet 1996 vor dem Deutschen Bundestag Antisemitismus in der Wehrmacht, der ehemalige KZ-Arzt Josef Mengele bleibt trotz unfassbarer Morde unbehelligt. 

Diese Beispiele könnte man fast schon endlos fortsetzen. Über die Nazi-Zeit wollte nach dem Krieg kaum jemand noch etwas hören. Mein Vater beobachtete seine Nachbarn, wie sie die Bilder von Adolf Hitler im Garten verbuddelten. "Und nun wollt ihr behaupten, dass ihr den Führer nicht verehrt habt?", fragte er sie. Das gelang vielen.

Mein Vater war 1944 als 19-Jähriger dem Tod von der Schippe gesprungen. Wegen angeblicher "Wehrkraftzersetzung" wurde er zum Tode verurteilt. Doch die Landung der Alliierten an der Atlantikküste bewahrte ihn vor der Vollstreckung. Man vergaß ihn in der Todeszelle, aus der er sich selbst befreien musste. 

Nach dem Krieg kam er in französische Kriegsgefangenschaft. Als ein jüdischer Kaufmann aus Wilhelmshaven davon erfuhr, sorgte er für die Freilassung meines Vaters. "Der hieß irgendwas mit W", erzählte mir meine Mutter vor ungefähr 10 Jahren. Dass ihr Mann 1944 in der Todeszelle gesessen hatte, erfuhr sie erst von mir.

Nicht nur in meiner Familie schwieg man sich aus. Ich hätte mich gern einmal mit diesem jüdischen Kaufmann unterhalten. Auch im Geschichtsunterricht sollte diese Vergangenheit ruhen. Wenn es nach meinen Lehrern gegangen wäre, hätte ich 1972 mein Abitur gemacht, ohne jemals am Gymnasium etwas über Adolf Hitler gehört zu haben. 

Erst als wir eigene Vorträge über diese widerliche Zeit anboten, endete unser Geschichtsunterricht nicht mehr mit der Weimarer Republik. Doch unsere Vorträge stießen nicht nur auf Wohlwollen, denn wir beschäftigten uns auch mit der Verstrickung der Wirtschaftsbosse mit der NSDAP, die nach dem Krieg ebenfalls nichts zu befürchten hatten. Dass alle Nazi-Juristen einfach weitermachen durften, hörte man auch nicht so gern. Denn einer dieser Richter war sogar Ministerpräsident geworden. Allgemein bekannt machte das erst Rolf Hochhuth im Jahre 1978, der Hans Filbinger (CDU) einen "furchtbaren Juristen" nannte. 

Dieser Tage hat Justizminister Heiko Maas "ein Umdenken" in der Aufarbeitung gefordert. Er regt ein "Erkenntnisprojekt" an, weil das Unwissen angesichts der Wahlerfolge der AfD gefährlich sei. Und wie weit dürfen die Erkenntnisse gehen?  






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