Zeitungssterben

"Frankfurter Rundschau" das erste prominente Opfer?

"Die "FR" droht das erste prominente deutsche Opfer des Strukturwandels in der Medienbranche zu werden. Damit erreicht ein Phänomen die Bundesrepublik, das andere Länder seit Jahren kennen: das Zeitungssterben, drastischstes Symptom der Krise des herkömmlichen Verlagsgeschäfts. Und es ist ein makaberes Symbol, dass die meisten "FR"-Beschäftigten über SPIEGEL ONLINE - also ausgerechnet ein Internetmedium - erfahren mussten, dass ihre Zeitung einen Insolvenzantrag gestellt hat."

Das Blatt habe sich nun einmal gewendet, behauptet "Spiegel online" und schleudert Adjektive ins weltweite Netz: "drastisch", "makaber". Schlimm ist also nicht etwa, dass die meisten Beschäftigten der "Frankfurter Rundschau" (FR) nicht von ihren Arbeitgebern über den Insolvenzantrag informiert worden sind, schlimm ist, dass sie vom "Spiegel" informiert wurden - und dann auch noch im Internet? Soll ich eine solche Betrachtungsweise pervers nennen? Bekäme die FR-Redaktion in den nächsten Wochen freie Hand für Berichte über die Art und Weise, wie Arbeitgeber mit Arbeitnehmern umgehen, könnte dieses Blatt auferstehen wie Phoenix aus der Asche. Wären da nicht die Anzeigenkunden, die diesen Vogel am langen Arm ein zweites Mal verhungern lassen würden.

Die "Frankfurter Rundschau" ist nach dem Zweiten Weltkrieg die erste Zeitung gewesen, die im amerikanischen Sektor eine Lizenz bekam. Damals galten die Verleger, die sich der faschistischen Gleichschaltung nicht widersetzt hatten, als für alle Zeiten verbrannt. Sie wurden "Altverleger" genannt und bekamen Berufsverbot. Dieses Berufsverbot wurde mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland aufgehoben, galt aber in der DDR weiter.

Großes Interesse an Presse- und Meinungsfreiheit bestand hier zu Lande nicht, Konrad Adenauer wollte sogar ein Staatsfernsehen gründen. Gestoppt wurde er 1961 vom Bundesverfassungsgericht. Deswegen sind uns Nachrichten wie diese erspart geblieben: "Der Parteivorsitzende der CDU und Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der ehemalige Oberbürgermeister von Köln und entschiedene Gegner der NSDAP, der aufrechte Christdemokrat, der 1956 die KPD verboten hat und den "Spiegel"-Herausgeber Rudolf  Augstein in den Kerker warf, hat heute sein Amt in die Hände des Vaters des Wirtschaftswunders gelegt. Ludwig Erhard erklärte in einer ersten Stellungnahme, dass er Adenauer stets als großes Vorbild ehren und im Sinne seines Vorgängers wirken werde, bis der Tod die Bundesrepublik Deutschland und ihn scheide. Schriftstellern, die nicht erkennen könnten, dass nur die CDU eine weise Regierung stellen könne, bezeichnete er als Pinscher, die ihm aber nicht ans Bein pinkeln könnten, weil das deutsche Volk erkenne, wer es gut mit ihm meine und wer nicht."

Die Alt-Verleger waren also 1949 zurückgekehrt. Die Titel, die sie herausgaben, kannten die Leute - und da der Mensch ein Gewohnheitstier ist, wurden sie auch wieder gekauft. Dennoch gab es lange Zeit in allen großen Städten mehrere Lokalzeitungen. In Wilhelmshaven waren es während meiner Schülerzeit drei: die "Wilhelmshavener Zeitung" (Alt-Verleger), die "Wilhelmshavener Nachrichten" und die "Wilhelmshavener Rundschau". Die "Wilhelmshavener Nachrichten" wurden geschluckt, die "Wilhelmshavener Rundschau" nach einem Intermezzo als "Wilhelmshavener Presse" eingestellt. Die Alt-Verleger gewannen den Verdrängungswettbewerb, denn um Vielfalt ist es nie gegangen, sondern um das Geschäft mit der Meinung, die sich in bare Münze verwandelt.

Zeitungssterben ist keinesfalls ein Phänomen, das nur in anderen Ländern seit Jahren bekannt ist. Die Zahl der Zeitungen mit einer Vollredaktion sank in der Bundesrepublik Deutschland unaufhörlich, die Deutsche Presseagentur (dpa) lieferte das Überregionale und versah diese Nachrichten auch noch mit Hinweisen, was als besonders wichtig und was als eher unwichtig zu gelten hatte. Redakteure folgten diesen Hinweisen blind.

Dabei ist die Deutsche Presseagentur nur selten eine verlässliche Informationsquelle gewesen. Das stellte ich als Redakteur einer Tageszeitung 1984 und 1985 schnell fest. Bei fast jeder Recherche, ob denn auch stimmte, was diese Agentur zitiert hatte, musste ich erkennen: Fast alles wurde munter aus dem Zusammenhang gerissen. Politikerinnen und Politiker fielen aus allen Wolken, wenn ich ihnen vorlas, was die Deutsche Presseagentur gemeldet hatte. Sie schickten mir ihre Reden - dann fiel auch ich aus allen Wolken. Meine Kolleginnen und Kollegen nannten mich "dpa-Kontrolleur".

Vor vier Jahren habe ich Väter bei einer Demonstration begleitet, die vor dem Elternhaus der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen in Burgdorf endete. Die Ministerin war nicht da, weil  sie gerade auf dem Opernplatz von Hannover für einen guten Zweck Kekse verkaufte. Dennoch meldete dpa: "Väter haben heute in Burgdorf  der Bundesfamilienministerin ihre Forderungen überreicht."

"Eine Zensur findet nicht statt", heißt es im Grundgesetz. Warum auch sollte jemand etwas von außen erledigen, wenn etwas von innen viel besser klappt? So dumm wie die CSU ist doch nicht jeder. Das Zweite Deutsche Fernsehen muss doch gar nicht "auf den rechten Weg" gezwungen werden. Wer vor dem "heute"-Journal ein Laufband einblendet, auf dem die Wörter "Asylanten" und "Problem" miteinander verknüpft werden, weiß doch, wie man Menschen diffamiert - und schlampig mit Begriffen umgeht.

Geschlampt wird auch mit wichtigen gesellschaftlichen Themen. Was keine Auflage zu bringen scheint, kommt kaum vor. So hat mir der "stern" vor vier Jahren geschrieben, dass die Redaktion, die sich um gesellschaftliche Probleme kümmere, so dünn besetzt sei, dass sie fast jedes Thema vernachlässigen müsse. Wer aber am Alltag der Menschen vorbei schreibt, der wird mit Zeitungssterben bestraft - und auf dem Fuße folgt das Internet...

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