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Hermann Kant: Begnadet und verbohrt.
Hermann Kant stirbt im Alter von 90 Jahren

"Die Aula" (1965), "Das Impressum" (1972) und "Der Aufenthalt" (1976): Meine Begeisterung für diese Romane von Hermann Kant wird ebenso bleiben wie mein Unverständnis für seine Rolle als Vorsitzender des DDR-Schriftsteller-Verbandes, der 1976 seinem Kollegen Reiner Kunze hinterhergerufen hat: "Kommt Zeit, geht Unrat!" 

Wie nur sollte ich seine "quasi" (Kenner werden diese Anspielung verstehen) leichte Feder getunkt in feine Ironie in Einklang bringen mit seinen Entscheidungen als Funktionär, die einem Betonkopf entsprangen? Doch das hatte ich mich auch schon bei der im Jahre 1900 in Mainz geborenen DDR-Schriftstellerin Anna Seghers ("Das siebte Kreuz") gefragt, die so einfühlsam schrieb und so herrisch auf Kritik an der DDR reagierte. Die Wege von Hermann Kant und Anna Seghers kreuzten sich bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie mochten sich. 

Ab 1976 löschten Kant und Seghers das Feuer des künstlerischen Aufbegehrens, Wolf Biermann durfte nach einem Konzert in Köln bleiben, die DDR-Medien und die DKP-Zeitung "Unsere Zeit" (UZ) brandmarkten ihn mit einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat als heimlichen Verbündeten des BRD-Kapitalismus ("Ich bin heute Abend zu jeder Schandtat bereit"), der sich am Rhein geoutet hatte. 

Ich schrieb damals einen wütenden Leserbrief an die "UZ" und verglich diese Art des Journalismus mit dem "Bild"-Journalismus jener Tage, denn Biermann hatte mit diesem Satz lediglich auf einen Lied-Wunsch aus dem Publikum reagiert. Danach geschah, womit ich nicht gerechnet hatte, denn "Bild" hatte meine ebenfalls wütenden Leserbriefe über die Diffamierung von Willy Brandt nie abgedruckt: Die "UZ" veröffentlichte meinen Leserbrief ungekürzt und ohne jeden Kommentar. 

Mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann begann die "Säuberungswelle" im DDR-Schriftsteller-Verband, 1979 wurden neun prominente Mitglieder ausgeschlossen. Dass dies eine falsche Entscheidung war, ging nie in den Betonkopf von Hermann Kant, noch im hohen Alter hielt er alles, was seinerzeit geschah, für "alternativlos".

"Es ging nicht anders" kann aber niemals das Motto eines Künstlers sein - und eines so hervorragenden Schriftstellers wie Hermann Kant schon gar nicht. Gestern ist er gestorben, im Alter von 90 Jahren und Marcel Reich-Ranicki wiederholt beim Wiedersehen in der jenseitigen Welt möglicherweise, was er zu Lebzeiten über Kant gesagt hat: "Vielleicht ist er ein Halunke, aber schreiben kann er." Reich-Ranicki darf das - er ist der Ältere von beiden...

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