"Bild"-Böll

19. Dezember 2011
Bald verscherbeln sie auch noch den "Aufmacher"?

Irgendwann verscherbeln sie auch noch "Der Aufmacher - Der Mann, der bei Bild Hans Esser war". Diesen Bestseller schrieb Günter Wallraff 1977. Er hatte sich in die hannoversche Redaktion dieses Boulevardblattes geschmuggelt und deckte auf, wie diese Zeitung auf Tatsachen pfiff. Das klang dem Chefredakteur neun Jahre später noch so sehr in den Ohren, dass er mich bei einem Redaktionsbesuch auf einen Platz hinwies: "Dort hat Wallraff gesessen."

Jetzt aber erst einmal Heinrich Böll. In der heutigen Ausgabe macht "Bild" Werbung für eine Nobelpreis-Bibliothek aus 20 Werken, zu der auch "Gruppenbild mit Dame" gehört. Das Böll-Porträt zeichnet Körzdörfer, der so aussieht wie jemand aus einer Drückerkolonne nach erfolgreicher Abzocke eines Rentnerehepaares. "Böll hat Bild nicht geliebt", lautet sein erster Satz.

In einer Zeitung, die sonst zu Übertreibungen neigt, klingt diese Anmerkung lächerlich. Denn: Böll hat "Bild" verachtet. Die Gründe führen zurück in die 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, als Andreas Baader und Ulrike Meinhof Mord und Totschlag mit Befreiungspolitik verwechselten.

Damals titelte "Bild" drauflos. Deswegen schrieb Heinrich Böll einen Aufsatz für den "Spiegel", der in der Ausgabe 3/1972 erschien. Da war er noch nicht Literaturnobelpreisträger, aber schon "Gewissen der Nation", das auch bei Baader und Meinhof auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze pochte. Schon begann die "Bild"-Hetze, von der Körzdörfer heute so ablenkt: "Aber die deutsche Polizei klopfte auch an seiner Wohnungstür - Durchsuchungsaktion nach RAF-Terroristen (nach einem Spiegel-Artikel galt er als Sympathisant)."

Was sonst noch hätte geschehen können, beschrieb Heinrich Böll 1974 in seiner Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Eine Frau, die alle für eine "Heilige" halten, verliebt sich bei einer Party in einen Mann, verbringt mit ihm die Nacht. Was sie nicht weiß: Dieser Mann ist ein Terrorverdächtiger. Kaum ist er wieder verschwunden, taucht ein schmieriger "Bild"-Reporter auf. Der nimmt auf nichts Rücksicht.

Diese Erzählung wird die erfolgreichste von Heinrich Böll (6 Millionen verkaufte Exemplare). Das hat "Bild" wehgetan wie drei Jahre später "Der Aufmacher" von Günter Wallraff.

Ulrike Meinhof sucht auch in Wilhelmshaven vorübergehend Unterschlupf, ihre Flucht endet im Juni 1972 bei Hannover, sie erhängt sich am 9. Mai 1976 in ihrer Zelle.

In jenen Jahren mache ich in Wilhelmshaven Abitur. Im Deutschunterricht analysieren wir Medien, dazu gehören auch die Zeitschrift "konkret", bei der Ulrike Meinhof gearbeitet hat, und das "Neue Deutschland". Kaum habe ich diese Zeitschrift und dieses SED-Organ am Bahnhofskiosk bestellt, macht sich der Verfassungsschutz auf den Weg zu meinem Elternhaus. Als ich dort ankomme, haben sie mein Zimmer bereits durchsucht.

1978 hält in Hannover ein Polizeibeamter ein Maschinengewehr ins Wageninnere, fordert mich zum Aussteigen auf. Ich habe Angst vor jeder falschen Bewegung.

Heinrich Bölls Kampf für den Rechtsstaat war scheinbar verloren, erfolgreicher schien "Bild" mit ihrem Kampf für den rechten Staat zu sein. Aber: Böll bekam den Literatur-, Willy Brandt als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler den Friedensnobelpreis.

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