Eine Autorin bei Facebook

Es ist zum (sucht euch etwas Passendes aus)!

Deutschland ist ein Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht. Wirklich???

Vor einigen Wochen mit einem Redakteur eines sehr großen Verlages an einem Artikel gearbeitet. Gefühlte 1000 Versionen gingen hin und her, bis die Rechtsabteilung endlich zufrieden war. O-Ton des Redakteurs: "Ja, in Deutschland darf man nicht alles kritisieren."

Soeben eine E-Mail eines Zahntechnikers erhalten, der ein kritisches Buch über Zahnmaterialien veröffentlichen wollte. O-Ton des Zahntechnikers: "Das Buch sollte im Oktober auf den Markt kommen. In letzter Minute wurde es zurückgenommen und zensiert. Offenheit und eigene Erfahrungen darf man hier in Deutschland immer noch nicht aussprechen."

Postet die Autorin Marion Schimmelpfennig auf ihren Facebook-Seiten. Auf diese Anmerkungen reagieren Kommentatoren mit Kritik an den Medien, die nicht wirklich frei seien, zu enge Beziehungen mit Konzernen und der Politik pflegten, schon in der Schule werde freies Denken behindert, worauf ein ehemaliger Pressesprecher der Grünen zu bedenken gibt, dass freies Denken von vielen für Bedrohung gehalten werde, außerdem könne freies Denken zu Egoismus führen, der Grat sei schmal. 

Medien gelten als Vierte Gewalt, sie sollten das Geschehen beobachten, analysieren, einer großen Öffentlichkeit verständlich machen und - wenn erforderlich - kritisieren. Doch die Vierte Gewalt ist auch ein Warenproduzent, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, die niemand kauft, verschwinden so schnell wieder vom Markt wie eine Margarinesorte, die niemandem schmeckt. Was aber schmeckt den Verbrauchern der Ware "Medien"?

Manchmal nicht einmal die eigenen Produkte. Ein Beispiel dafür ist der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt gewesen, der Kritisches aus der Arbeitswelt als Reportagen oder Erzählungen verbreiten wollte und dafür einen bekannten Verlag fand, der sich immer wieder darüber beschwerte, dass nicht einmal Werkkreis-Mitglieder die Bücher kauften.

Auch viele Zeitungen sind diesen Bach des Desinteresses heruntergegangen, bis in fast jeder Stadt nur noch eine Zeitung oben schwamm. Als Medium untergehen kann man aus vielen Gründen. Der Markt bestimmt die Nachrichten, die verbreitet werden. Dieser Markt hat viele Akteure. Verleger, die ihren Beruf von der Pike auf gelernt haben, findet man kaum noch, Journalisten, die nicht nur etwas von ihrem Fach verstehen, sondern auch den nötigen Überblick haben, um Ereignisse in einen größeren Zusammenhang stellen zu können, sind ebenso selten. Oft fehlt auch die Zeit für Recherchen. Leser reagieren auf Kritik mit dem Vorwurf der Nestbeschmutzung. Anzeigenkunden, die Verlegern und Journalisten Vergünstigungen beim Kauf ihrer Produkte gewähren, drohen mit Liebesentzug. Mit einstweiligen Verfügungen wird Kritik ein juristischer Riegel vorgeschoben.

Das Magazin "Time" hat 2006 keinen "Menschen des Jahres" ins Titelbild gerückt, sondern einen Computerbildschirm. Der stand für die Fünfte Gewalt, das Internet-Gegengewicht zum bekannten Medienmarkt. Die Botschaft lautete: Jeder kann selbst publizieren, sich mit anderen austauschen, er kann sich vernetzen und Wirkung erzielen. Immer häufiger greifen die alten Medien auf, was in den neuen Medien verbreitet wird. Das kann ein neuer Weg zu Meinungs- und Informationsvielfalt sein, dieser Weg birgt aber auch Gefahren, weil er auch von Leuten gegangen wird, die nichts weiter wollen als verleumden, manipulieren und irritieren. Die Internet-Spreu muss also vom Internet-Weizen getrennt werden.

Der Redakteur aus Marion Schimmelpfennigs Facebook-Anmerkungen muss nicht Recht behalten. Eine Schere im Kopf ist so überflüssig wie Bleischuhe beim Bergsteigen. Wie wirkungsvoll das Internet sein kann, habe ich als Redakteur festgestellt, als ich mit meinen Berichten einem Call-Center-Gauner das schmutzige Handwerk legte, dazu beitrug, dass eine Einrichtung, in der Familien zerstört wurden, geschlossen wurde, und ein Immobilienhai immer zahnloser wurde. Dafür habe ich mir sehr viel Ärger eingehandelt, inzwischen komme ich auf ein gutes Dutzend Gerichte, vor denen ich verklagt wurde. Meine Bücher, die alle ganz leicht bei Amazon oder Hugendubel finden können, dürfen durchaus gelesen werden. Vielen sind sie schon eine Hilfe gewesen - manchmal auch ein Lesevergnügen...

Lesetipp: "Ich hörte sein Keuchen hinter meinem Rücken", eine Erzählung von mir über den Alltag eines Redakteurs. Hier klicken 




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